AMK / Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ)
berichtet aktuell über eine 55-jährige Patientin, der vor der Operation
eines Glioblastoms das Arzneimittel Gliolan® versehentlich intravenös
appliziert wurde, anstatt wie vorgesehen per os. Es wurden keine
negativen gesundheitlichen Folgen des Medikationsfehlers für die
Patientin berichtet (1).
Gliolan® enthält als Wirkstoff
5-Amino-4-oxopentansäure (5-ALA) und ist indiziert bei Erwachsenen zur
Visualisierung von malignem Gewebe während der Operation eines malignen
Glioms (WHO-Grad III und IV). Die Dosierung erfolgt nach Körpergewicht.
Hierzu muss die Gesamtanzahl benötigter Flaschen vor der Operation
berechnet werden. Das Arzneimittel ist vor Applikation mit Trinkwasser
zu rekonstituieren und soll drei Stunden vor der Anästhesie oral
verabreicht werden (2, 3). Als Primärverpackung dient eine farblose
Glasflasche mit einem Injektionsstopfen aus Gummi mit Bördelkappe. Nach
Angaben des Herstellers handelt es sich aus Stabilitätsgründen um ein
gefriergetrocknetes Produkt, für das Glasflaschen mit Drehverschluss
nicht geeignet seien (4).
Im vorliegenden Fall der AkdÄ war aus
Sicht des Meldenden die Kennzeichnung der Flasche nicht eindeutig genug,
um zu erkennen, dass das Arzneimittel ausschließlich oral bzw. enteral
(über eine Magensonde) anzuwenden ist. Zudem wurde das Design bzw. die
Aufmachung der Flaschen als missverständlich und irreführend eingestuft.
Das
Arzneimittel wird für den irischen und deutschen Markt gemeinsam
konfektioniert. Der Umkarton ist daher mit englischen und deutschen
Texten versehen. Auch findet sich dort die Angabe „Pulver zur
Herstellung einer Lösung zum Einnehmen“, ebenso wie auf der Glasflasche,
wo zudem die Angabe „Zum Einnehmen nach Rekonstitution“ angebracht ist.
Hier wird „Zum Einnehmen“ weiß mit blauer Hinterlegung hervorgehoben.
Dieser Hinweis ist allerdings eingebettet in einem längeren
Informationstext, was ein Übersehen dieser Angabe begünstigen kann.
Nach
Informationen des Zulassungsinhabers überblickt dieser bis 2018 vier
Meldungen zur i.v.-Fehlanwendung, woraufhin eine Änderung der Aufschrift
„Durchstechflasche“ zu „Flasche“ sowie eine Umstellung von Flip-Off- zu
Push-Tear-Off-Kappen erfolgte. Seither seien weltweit vier weitere
Fälle von i.v.-Fehlanwendungen gemeldet worden. Auf Basis dieser
Fallberichte und der aktuellen Datenlage ergäben sich keine weiteren
Anhaltspunkte für eine unmittelbare Patientengefährdung aufgrund der
versehentlichen i.v.-Applikation von Gliolan®, jedoch sei die
Fluoreszenzvisualisierung nur unter den Bedingungen gemäß Zulassung
gewährleistet.
In der Zusammenschau können aus Sicht der AMK die
gewählte Primärverpackung samt Verschlusssystem und die Kennzeichnung
des Arzneimittels das Auftreten von Medikationsfehlern begünstigen. Die
gewählte Injektionsflasche mit Push-Tear-Off-Kappe kann in einem
hektischen Klinikalltag einer nicht intendierten parenteralen Anwendung
Vorschub leisten, insbesondere in einer Umgebung, in der
i.v.-Applikationen häufig durchgeführt werden. Die Tatsache, dass beim
sachgemäßen Öffnen der Push-Tear-Off-Kappe das gesamte Verschlusssystem
entfernt wird, mag keinen Hinderungsgrund darstellen, dennoch die Lösung
in eine Spritze aufzuziehen. Die gewählte Kennzeichnung ist zwar
korrekt, wird aber als zu unauffällig erachtet, um eine falsche
Applikationsroute konsequent zu unterbinden. Zudem verhindert die
zweisprachig gewählte Aufmachung des Umkartons eine prägnantere
Darstellung der Hinwiese zur oralen Anwendung.
Empfehlenswert
wäre aus Sicht der AMK, die orale Anwendung prägnanter (größer oder
invers hervorgehoben) auf der Verpackung darzustellen. Nach Rücksprache
mit dem Zulassungsinhaber sind derzeit jedoch keine Anpassungen der
Primär- und Sekundärverpackung sowie der Kennzeichnung zu erwarten, (4).
Die
AMK nimmt diesen Fall daher zum Anlass, daran zu erinnern, dass
Apothekerinnen und Apotheker im Rahmen der Information und Beratung
einen wertvollen Beitrag zur Arzneimittelsicherheit leisten können. Eine
einfache und individuelle Maßnahme kann die Bereitstellung von Gliolan®
getrennt von parenteral anzuwendenden Arzneimitteln sein. Die Lieferung
direkt auf die Station könnte zusammen mit einem Trinkbecher und
idealerweise mit einem Hinweis zur oralen Anwendung erfolgen. Apotheken
können zur Unterstützung des Fachpersonals die Abbildung zur oralen
Anwendung aus dem Schulungsmaterial für Ärztinnen und Ärzte als
Handreichung verwenden (5).
Arzneimittelrisiken im Zusammenhang
mit der Anwendung von Gliolan®, einschließlich Medikationsfehler, sind
bitte bevorzugt online unter www.arzneimittelkommission.de zu melden. /
Quellen
1) AkdÄ: Medikationsfehler: falscher Applikationsweg/Akzidentelle
intravenöse statt oraler Applikation (Nebenwirkungen aktuell).
www.akdae.de → Arzneimitteltherapie → Arzneiverordnung in der Praxis →
Ausgaben Archiv → Ausgaben ab 2015 - 2024 → Ausgabe 1. April 2024
(Zugriff am 25.04.2024)
2) photonamic GmbH & Co. KG;
Fachinformation Gliolan® 30 mg/ml Pulver zur Herstellung einer Lösung
zum Einnehmen, Stand: April 2023
3) photonamic GmbH & Co. KG;
Packungsbeilage Gliolan® 30 mg/ml Pulver zur Herstellung einer Lösung
zum Einnehmen, Stand: April 2023
4) photonamic GmbH & Co. KG an AMK (E-Mail-Korrespondenz); Gliolan - Medikationsfehler. (17. Mai 2024)
5) BfArM; Leitfaden: Gliolan® (5-Aminolevulinic Acid) Training
Manual. www.bfarm.de → Arzneimittel → Pharmakovigilanz →
Risikoinformationen → Schulungsmaterial (Zugriff am 15. Juli 2024)