AMK / Mit Inkrafttreten des „Gesetzes zur Änderung
betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ koordiniert und
verantwortet das BfArM für Deutschland eine nichtinterventionelle
Begleiterhebung zur Anwendung von so genannten Cannabisarzneimitteln
(1-3), die Fertigarzneimittel (Sativex® und Canemes®) sowie
Rezepturarzneimittel von Dronabinol, Nabilon, Cannabisblüten und
Cannabisextrakten umfassen.
Gemäß der Zwischenanalyse im Jahr
2019, insbesondere in der Indikation Schmerz, erfolgt die vorzeitige
Beendigung der Therapie in 28,5 % der Fälle aufgrund von Nebenwirkungen,
wobei Müdigkeit, Schwindel und Übelkeit prozentual am häufigsten
auftraten (3). Häufigster Grund für den Abbruch der Therapie war mit
39,1 % die nicht ausreichende Wirksamkeit.
Bis Ende September
2019 erhielt die AMK insgesamt 38 Verdachtsmeldungen zu unerwünschten
Wirkungen bei Cannabis-haltigen Arznei- sowie Nahrungsergänzungsmitteln.
In über 80 % der Fälle traten Nebenwirkungen im Zusammenhang mit der
Anwendung von Rezepturarzneimitteln, vor allem zur Inhalation, auf.
Diese umfassten u. a. Husten (Atemnot), Hals- und Rachenbeschwerden,
Übelkeit, Schwindel und (Kopf-)Schmerzen (Migräne). In einigen Fällen
wurde ein erhöhter Anteil von Cannabissamen für die schlechte
Verträglichkeit verantwortlich gemacht.
Die AMK betont, dass
Apotheken infolge der erweiterten Anwendung von Cannabis zu
medizinischen Zwecken eine besondere Verantwortung zukommt hinsichtlich
der Vermeidung von Arzneimittelrisiken bei Cannabisblüten/-extrakten,
einschließlich deren missbräuchlicher Anwendung. Grundsätzlich erfolgt
Missbrauch absichtlich, außerhalb der Zulassung und umfasst auch die
Anwendung für den so genannten Freizeitgebrauch (engl. recreational
use).
Bislang wurden entsprechende Missbrauchsverdachtsfälle von
Apotheken jedoch (noch) nicht an die AMK gemeldet. Daher möchte die AMK
daran erinnern, dass das pharmazeutische Personal in einer Apotheke in
zahlreiche Prozesse eingebunden ist, die Hinweise auf einen kritischen
Gebrauch bzw. Missbrauch geben können. Die Vorschriften der
Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV), der
Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) und ggf. die Vorgaben des Deutschen
Arzneibuchs (DAB 2019) sowie der NRF-Rezepturvorschriften, erfordern es
sich in der Praxis intensiv mit der ärztlichen Verordnung
Cannabis-haltiger Arzneimittel auseinanderzusetzen.
Folgende Beispiele können Verdachtsmomente für Missbrauch aus Sicht der Apotheke darstellen (4, 5):
- Feststellung geänderter/manipulierter oder (insgesamt) gefälschter Verordnungen.
- Versuche von Patienten, die Rezepturzubereitung zu beeinflussen, z. B. dass die Droge unverarbeitet abgegeben werden soll.
- Die
nicht medizinische Nutzung des Fertig- bzw. Rezepturarzneimittels – z.
B. eine zweifelhafte Gebrauchsanweisung oder eine der verordneten, aber
nicht den pharmazeutischen Regeln entsprechende Darreichungsform
(mangelnde Dosiergenauigkeit bei nicht zerkleinerter Droge).
- Verordnung von mehreren (wohnortfernen) Ärzten, z. B. im Rahmen der BtM-Dokumentation.
- Die Beschaffung aus mehreren (wohnortfernen) Apotheken.
- Manipulation
und/oder Reklamation von bereits abgegebenen Cannabis-haltigen
Arzneimitteln, z. B. Beschwerden wegen angeblicher Minderbefüllung oder
Wirkungslosigkeit, inkl. mangelnder Qualität.
- Striktes Beharren
auf einer THC-reichen oder bestimmten Cannabis-„Sorte“ (im Sinne der
Handelsbezeichnung) beim Arzt oder in der Apotheke.
Anzeichen
für den Verdacht auf Missbrauch können gegebenenfalls aus der
kundenbezogenen Abverkaufshistorie und der BtM-Dokumentation in
Verbindung mit einem offenen, verständnisvollen Ansprechen des Patienten
erhärtet oder widerlegt werden. Dem Patienten sollte dabei sachlich die
Vermutung mitgeteilt werden, dass ein kritischer Arzneimittelkonsum
(schädlicher Gebrauch) vorliegen könnte bzw. vorliegt. Vorwürfe,
Drohungen, Ironie sowie Moralisieren sollen dabei vermieden und so ein
vertrauensvolles Gespräch eingeleitet werden.
Nicht immer werden
ApothekerInnen einen Zugang zu dem betreffenden Menschen finden, dennoch
sollte ein Informations- und Beratungsangebot unterbreitet werden.
Folgende Aspekte sollten in einem vertrauensvollen Patientengespräch erörtert werden:
- Aus welchem Grund wird das Arzneimittel angewendet?
- Seit wann und wie wird das Arzneimittel konkret eingenommen?
- Musste in der Vergangenheit die Dosierung erhöht werden, um weiterhin den gewünschten Effekt zu erreichen?
- Wurde das Arzneimittel schon einmal bewusst abgesetzt, und was ist dabei passiert?
Deuten
die Patientenangaben auf einen Medikationsfehler, einen Missbrauch oder
gar eine Abhängigkeit hin, so sollten individuell und abhängig vom
jeweiligen Arzneimittel geeignete Lösungsmöglichkeiten – unter Beachtung
der gesetzlichen Bestimmungen und des Datenschutzes – aufgezeigt
werden. Bei Ablehnung von Beratungsangeboten kann die Abgabe in letzter
Konsequenz verweigert werden. /
Quellen
1) Bundesgesetzblatt
Teil 1 (2017) Nr. 11; Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher
und anderer Vorschriften. www.bgbl.de (9. März 2017)
2) BfArM;
Cannabis als Medizin: Bundesinstitut für Arzneimittel und
Medizinprodukte richtet Cannabisagentur für künftigen Cannabisanbau in
Deutschland ein. www.bfarm.de → Service → Presse → Pressemitteilung Nr.
7/17 (3. März 2017)
3) Schmidt-Wolf, G., Cremer-Schaeffer, P.
Begleiterhebung zur Anwendung von Cannabisarzneimitteln in Deutschland –
Zwischenauswertung. Bundesgesundheitsblatt 2019; 62 (7): 845.
4)
Bundesapothekerkammer (BAK). Arzneimittelmissbrauch. Leitfaden für die
apothekerliche Praxis. Berlin, März 2018.
www.abda.de/fileadmin/user_upload/assets/Arzneimittelmissbrauch/BAK_Leitfaden_Arzneimittelmissbrauch.pdf
5) DAC/NRF an AMK (E-Mail-Korrespondenz) Meldungen an die AMK im Kontext Cannabis (7. November 2018 und 22. August 2019)