AMK / Die AMK erreichen vermehrt Spontanberichte aus Apotheken zu 
fremdartigem Geschmack von Vigantol® (Colecalciferol) Öl 20.000 I.E./ml,
 Tropfen zum Einnehmen.
 Colecalciferol ist das physiologisch 
vorkommende Vitamin D3 und wird u. a. angewendet zur Vorbeugung und 
Behandlung von Rachitis und Osteomalazie bei Kindern und Erwachsenen. 
Weitere Bestandteile der öligen Lösung sind mittelkettige Triglyceride 
(MCT) und Spuren von Stickstoff und Kohlendioxid.
 Zwischen 2013 
und 2018 überblickte die AMK jährlich ein bis drei Meldungen zu 
Vigantol® Öl. Seit 2019 stieg die Rate stark an: Bis Anfang Dezember 
2020 erreichten die AMK insgesamt 59 Meldungen, wovon 41 einen 
fremdartigen Geschmack beanstandeten; in neun Fällen trat zusätzlich 
eine UAW auf.
 Der fremdartige Geschmack wurde divers 
beschrieben: Die Tropfen wurden als metallisch, chemisch, verdorben, 
pilzartig oder bitter wahrgenommen. Die gemeldeten Nebenwirkungen 
umfassten Husten, Sodbrennen, Brechreiz, Durchfall und Fieber. Alle 
UAW-Meldungen betrafen weibliche Patienten im Alter zwischen drei und 72
 Jahren (Median: 49 Jahre).
 Die Dosierung des Vitamin-D-Öls 
liegt in der Regel bei einem bis zwei Tropfen pro Tag (1). Bei den 
Meldungen, die eine UAW im Zusammenhang mit einem veränderten Geschmack 
berichteten, wurden in sieben Fällen höhere (Einzel-)Dosierungen 
berichtet; in einem Fall nahm die Patientin alle 14 Tage 30 Tropfen auf 
einmal ein.
 Die Wahrnehmung des Geschmacks ist ein individueller
 Prozess und wird u. a. durch das Alter (z. B. bitter/süß bei Kindern), 
Erfahrungswerte sowie durch die genetische Disposition der 
Geschmacksknospen beeinflusst. Aber auch Arzneimittel können den 
Geschmackssinn aufgrund pharmakologischer Effekte beeinflussen. Zum 
Beispiel kann Colecalciferol, insbesondere bei einer Überdosierung, eine
 metallische Phantogeusie auslösen, also die Wahrnehmung eines 
metallischen Geschmacks ohne Vorliegen eines Metalls (2). Berichten 
allerdings Apotheken vermehrt über Patienten, die im Vergleich zu 
vormals eingenommen Chargen eine veränderten Geschmack wahrnehmen, kann 
ebenso ein Qualitätsmangel vermutet werden.
 Der Hauptbestandteil
 des Vigantol® Öls sind mittelkettige Triglyceride (Synonym: Miglyol, 
Neutralöl), welche ein Gemisch von Triglyceriden gesättigter Fettsäuren,
 hauptsächlich Caprylsäure (Octansäure) und Caprinsäure (Decansäure), 
darstellen (3). Fette werden nicht mittels Geschmackssinns wahrgenommen,
 sondern aufgrund ihrer Eigenschaft, die Textur und den Geruch von 
Lebensmitteln zu beeinflussen (4). Wird „Fettgeschmack“ beschrieben, 
muss dies auf andere Bestandteile als auf das Triglycerid zurückgeführt 
werden, z. B. auf das Vorliegen von freien Fettsäuren.
 
Laboranalytische Untersuchungen durch das Zentrallaboratorium Deutscher 
Apotheker e. V. (ZL) konnten an Mustern von drei der sieben an die AMK 
berichteten Chargen durchgeführt werden. Die Ergebnisse entsprachen den 
Vorgaben der Arzneibuchmonographie für MCT. Es wurden keine 
Auffälligkeiten hinsichtlich der Säurezahl, Peroxidzahl oder der 
Anwesenheit von Metallelementen gefunden. Vorgaben zum Geschmack sind im
 Arzneibuch weder zu MCT noch zu Colecalciferol vorhanden.
 Die 
Firma bestätigte gegenüber der AMK einen veränderten Geschmack im 
Endprodukt; Ursachenanalysen zum Sachverhalt wurden durchgeführt. Nach 
internen Prüfungen werden diese auf Spuren (geschätzt ≤ 1 ppm) von 
Ketonen und Aldehyden in den mittelkettigen Triglyceriden zurückgeführt.
 Alle bislang nachgewiesenen Verbindungen seien bekannte Geschmacks- und
 Duftstoffe und in Lebensmitteln vorhanden. Die Menge an gefundenen 
Stoffen würde von externen Stellen als unbedenklich beurteilt (5).
 Seitens des Herstellers wurden die Produktionslinien auf ein neues MCT 
umgestellt. Die Ware ist seit August 2020 auf dem Markt erhältlich, 
ältere Chargen wurden nicht zurückgerufen.
 Der Geschmack leistet
 einen Beitrag zur Verträglichkeit von Arzneimitteln und damit der 
Einnahmetreue, ferner kann er Hinweise auf Qualitätsmängel liefern, die 
analytisch mit anerkannten Methoden zur pharmazeutischen Qualität zu 
validieren sind. Wie im vorliegenden Beispiel ersichtlich, ist dies 
nicht trivial, da erst ein Verdacht bezüglich einer möglichen 
Verunreinigung und eine geeignete Prüfvorschrift vorliegen muss.
 Die AMK erreichen regelmäßig Meldungen aus Apotheken zu schlecht 
schmeckenden Arzneimitteln (z. B. Metformin), die zu Therapiepausen oder
 -abbrüchen führen können, sowie Aversionen gegenüber der Medikation 
provozieren. Besonders bei Kindern trägt ein angenehmer Geschmack 
peroraler Arzneiformen maßgeblich zur Einnahmetreue und damit zum 
Therapieerfolg bei.
 Patienten, die über einen veränderten 
Geschmack ihrer Arzneimittel berichten, sollten u. a. zur Art der 
Einnahme befragt werden (z. B. Zerbeißen oder Öffnen von Kapseln). Die 
AMK bittet auch bei ungewöhnlichem Geschmack von Arzneimitteln um 
Meldung, bevorzugt mittels UAW-Formular, unter 
www.arzneimittelkommission.de. Mit diesem werden wichtige 
Patienteninformationen erfragt, da z. B. Erkrankungen wie 
Mundtrockenheit oder Reflux den Geschmackssinn beeinflussen können. /
Quellen
 1)    P&G Health Germany GmbH; Fachinformation Vigantol® Öl 20.000 
I.E./ml, Tropfen zum Einnehmen, Lösung, Stand: April 2020.
 2)    Arzneimittelinduzierte Störungen des Geruchs- und Geschmackssinns. AMB. 2010 (44): 81
 3)    Ph. Eur. 9. Ausgabe, Grundwerk 2017; Monographie 9.0/0868: Mittelkettige Triglyceride, Triglycerida media.
 4)    Mattes, R.; Is There a Fatty Acid Taste? Annu Rev Nutr. 2009, 29: 305-32.
 5)    P&G Health Germany GmbH an AMK (Korrespondenz); Reklamationen zu Vigantol Öl® 20.000 I.E., 10ml. (4. November 2020)