AMK / Die AkdÄ berichtet aktuell über einen Fallbericht zu einem
Medikationsfehler mit schwerwiegenden Nebenwirkungen bei einem
15-jährigen Patienten, der zur Behandlung einer einfachen
Tonsillopharyngitis mit Halsschmerzen, Rhinitis, Husten und Fieber vom
Hausarzt das Cefaclor-haltige Antibiotikum CEC® verordnet bekommen
sollte. Eine Verordnung von Penicillin erfolgte aufgrund einer
vorliegenden Unverträglichkeit nicht (1, 2).
Dabei wurde
versehentlich das falsche Arzneimittel rezeptiert. Im Verordnungsmenü
der Praxissoftware werden Arzneimittel gemäß des
Fertigarzneimittelnamens (alphabetisch) gelistet; der enthaltene
Wirkstoff wird nicht automatisch angezeigt. Anstelle des CEC® wurde das
darauffolgende Präparat Cecenu® mit dem Wirkstoff Lomustin ausgewählt.
Das Nitrosoharnstoff-Derivat aus der Reihe der Alkylanzien wird in der
Regel als Teil von Kombinationstherapien bei Hirntumoren oder
Hirnmetastasen eingesetzt.
In der Apotheke erfolgte die Abgabe
des falsch verordneten Cecenu®. Die Angabe der Diagnose auf dem Rezept
ist bis auf wenige derzeit geltende Ausnahmen nicht verpflichtend, was
die kritische Prüfung der Plausibilität der Verordnung seitens der
Apotheke erschwerte. Aus diesem Grund ist anzunehmen, dass die
offensichtlich falsche Dosierung (1–1–1) des Zytostatikums nicht bemerkt
bzw. hinterfragt wurde. Die Einnahme von Lomustin erfolgt einmal alle
sechs Wochen (3).
So kam es im vorliegenden Fall aufgrund
mehrerer, fehlerhafter Handlungen zu einem schwerwiegenden
Medikationsfehler. Zwei Wochen später stellten sich beim Patienten
anhaltende Halsschmerzen, Fieber und Abgeschlagenheit ein. Nach einer
weiteren Woche traten Synkopen sowie Petechien und Blutblasen in der
Mundhöhle auf. Auch in einer daraufhin aufgesuchten Notfallambulanz fiel
die Einnahme von Lomustin als vermeintliches Antibiotikum nicht auf,
obwohl dies von den Eltern angegeben wurde. Dort wurde die
Verdachtsdiagnose Epstein-Barr-Infektion gestellt und mit dem Auftrag
einer serologischen Diagnosesicherung an den Hausarzt zurückverwiesen.
Dessen Blutuntersuchung ergab eine ausgeprägte Thrombozytopenie,
Leukopenie, Neutropenie und Anämie. Im Krankenhaus erfolgte daraufhin
eine Knochenmarkspunktion, die eine komplette Aplasie des Knochenmarks
ergab. Bei der Befundbesprechung berichtete der Vater von der Einnahme
eines Antibiotikums und zeigte ein Handyfoto des Präparats Cecenu®. Die
daraufhin eingeleitete Therapie umfasste die Gabe von
Kolonie-stimulierenden Faktoren sowie Erythrozyten- und
Thrombozyten-Konzentraten. Es dauerte 12 Monate nach der ersten
Lomustin-Einnahme, bis sich die Blutwerte des Jungen normalisierten.
Der
hier aufgetretene Fehler wurde auf den verschiedenen Stufen des
Medikationsprozesses nicht erkannt und führte so zu vermeidbaren
schwerwiegenden Nebenwirkungen beim jugendlichen Patienten. Die AkdÄ
verweist daher auf das „Schweizer-Käse“-Modell, wonach ein
„Durchrutschen“ eines Medikationsfehlers möglich ist, wenn die
etablierten Sicherheitsbarrieren (durch beitragende Faktoren) versagen.
Bei dem Jungen und seiner Familie bestand zudem eine Sprachbarriere, was
die Kommunikation zusätzlich erschwerte. Dies ist laut AkdÄ
möglicherweise auch der Grund, warum die Gebrauchsinformation des
Arzneimittels die Familie nicht alarmierte.
Auch die AMK möchte
den beschriebenen Fall zum Anlass nehmen, um an die Wichtigkeit der
Prüfung der Plausibilität der Dosierung auf Rezepten zu erinnern,
wodurch Medikationsfehler entdeckt werden können. In einer 2023
durchgeführten Umfrage der AMK bestätigten rund 78 Prozent der
Referenzapotheken, dass durch die Angabe der Dosierung auf Rezept
potenzielle Medikationsfehler im Zusammenhang mit der Dosis, dem
Einnahmezeitpunkt und der Darreichungsform bzw. Teilbarkeit
identifiziert werden konnten, (4). Bei weiteren Verständigungsproblemen,
wie z. B. Sprachbarrieren, können zusätzliche Hilfsmittel in die
Beratung mit einbezogen werden. Die AMK verweist diesbezüglich auf die
Arbeitshilfen zur fremdsprachlichen Kommunikation der
Bundesapothekerkammer (5).
Die Analyse und Bewertung solcher
Spontanberichte als Teil der Pharmakovigilanz leistet einen wichtigen
Beitrag zur Minimierung von Fehlern im Medikationsprozess. Daher bittet
die AMK Apothekerinnen und Apotheker Medikationsfehler konsequent unter
www.arzneimittelkommission.de zu melden. /
Quellen
1)
Arzneikommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ): Medikationsfehler
und das „Schweizer Käse“-Modell: schwerwiegende Verwechslung
(Fallberichte). www.akdae.de → Arzneimitteltherapie → Arzneiverordnung
in der Praxis → Ausgaben Archiv → Ausgaben ab 2015 - 2024 → Ausgabe
1.April 2024 (Zugriff am 25. April 2024)
2) Lindner O et al.;
Case Report: Lomustine overdose in a 15-year-old, healthy adolescent—a
prescription failure. Front. Pediatr. 2024; 12:1339597.
3) Medac Gesellschaft für klinische Spezialpräparate mbH; Fachinformation Cecenu®, Stand Januar 2024
4) AMK: AMK-Referenzapotheken-Umfrage: Dosierungsanweisung auf
Rezept – Erhöhung der AMTS?. www.abda.de → Für Apotheker → AMK →
Publikationen → Pharmazeutische Zeitung → AMK-Referenzumfrage (Zugriff
am 29. April 2024)
5) Bundesapothekerkammer (BAK); Arbeitshilfen
für die Beratung von Patienten. www.abda.de → Für Apotheker → FAQ und
Checklisten → Fremdsprachliche Kommunikation in der Apotheke →
Piktogramme (Zugriff am 24. April 2024)